Änderung NPsychKG

(Nov. 2009) Stellungnahme der LPEN e.V. zum Entwurf eines Änderungsgesetzes des  NPsychKG. Nach der Privatisierung der Landeskrankenhäuser hatte die Landtagsopposition Verfassungsklage dagegen eingelegt - gestützt auf ein Gutachten Göttinger Staatsrechtler. Der niedersächsische Staatsgerichtshof in Bückeburg schloß sich in Teilen diesen Bedenken an, sodaß eine erneute Änderung von NPsychKG und MVollzG notwendig wurde und die LPEN zum Gesetzentwurf Stellung genommen hat.

In ihrem Urteil rügten die Richter die Verletzung des Demokratieprinzips der nds. Verfassung, demzufolge hoheitliche Aufgaben in lückenloser Legitimationskette übertragen werden müssen. Für Unterbringungs- und Zwangsmaßnahmen der geprüften Gesetze war dies aber nur durch Übertragung auf juristische Personen vorgesehen (unter Berufung auf Verwaltungsvorschriften), ohne die natürlichen Personen, die tatsächlich vollziehen, verfassungsgemäß zu bestellen.

1. Teil

Hier nun wie folgt unsere Änderungsvorschläge zum NPsychKG:

  1. Unterbringung nur noch bei akuter Suizidgefahr, wenn z.B. genaue Suizidplanungen bekannt geworden sind.

  2. Bei Fremdgefährdung gilt lt. UN-Behindertenrechtskonvention das Strafrecht und kein PsychKG oder Betreuungsgesetz.

  3. Begutachtung nur noch durch sozialpsychiatrischen Dienst oder wenn Patient es wünscht, durch niedergelassenen Facharzt.

  4. Vor richterliche Anhörung keine Psychopharmaka, außer, wenn Patient dieses ausdrücklich wünscht.

  5. Richterliche Anhörung muss spätestens nach 12 Stunden erfolgen.

  6. Verfahrensfleger muss beigeordnet werden. Dabei haben Wünsche des Betroffenen Vorrang. Richter muss auch einweisenden Arzt anhören.

  7. Vom Betroffenen gewählte Vertrauensperson soll bei Anhörung anwesend sein um den Betroffenen psychisch zu unterstützen.

  8. Vertrauensperson hat rund um die Uhr Zugang zur Station.

  9. Besuchskommission hat zu jeder Zeit Zugang zur Station.

  10. So wenig Medikamente wie möglich und niemals gegen den Willen der Betroffenen.

  11. Verbot von Nötigung und unter Drucksetzen der Betroffenen.

  12. Täglich mindestens 1 Stunde Ausgang für jeden Patienten.

  13. Info über Besuchskommission, Psychiatrieausschuss, Beschwerdestellen, Selbsthilfegruppen muß für jeden sichtbar ausgehängt werden.

  14. Psychiatrische Beschwerdestellen und deren Finanzierung müssen mit verankert werden.

Fixierung

Da es immer wieder heftige Beschwerden, Missverständnisse und Streit zum Thema „ob, wann und wie darf fixiert werden?“ gibt, sollten diese Leitlinien unbedingt mit im NPsychKG verankert werden. Dieses stellt nicht nur eine Absicherung für die Patienten, sondern auch für die Behandler dar.

1. Fixierungen/Zwangsmaßnahmen nur bei gegenwärtiger Gefahr !!!

2. Fixierungen/Zwangsmaßnahmen müssen vom Facharzt beantragt und in jedem Fall vom Betreuungsrichter genehmigt werden. Bei Gefahr in Verzug darf höchstens 30 Minuten eine Fixierung erfolgen. Spätestens danach muss richterlicher Beschluss mit Anhörung erfolgen.

3. Fixierungen/Zwangsmaßnahmen dürfen nur von vom Arzt/Personal mit Beamtenstatus durchgeführt werden (Urteil Bückeburg) und dürfen nicht länger als 60 Minuten andauern.

4. Es muss in jedem Fall eine Sitzwache ununterbrochen vorhanden sein.

5. Vollständige Dokumentation über:

a) Werdegang vor der Fixierungen/Zwangsmaßnahmen.

b) Begründung der Fixierungen/Zwangsmaßnahmen.

c) Begründung, warum der Einsatz von Deeskalierenden Maßnahmen, geringere Mittel zur

Gefahrenabwehr keine Anwendung finden konnten.

d) Art der Fixierungen/Zwangsmaßnahmen.

e) Dauer der Fixierungen/Zwangsmaßnahmen.

f) Dokumentation während der Fixierungen/Zwangsmaßnahmen.

g) Nachbesprechung mit Betroffenen und seiner gewünschten Vertrauensperson.

Dieser Abschnitt muss von Betroffenen und Vertrauensperson gegengezeichnet werden.

Uns ist es sehr wichtig, dass diese Punkte konkret im NPsychKG verankert werden, damit das NPsychKG nicht immer wieder nach Willkür von einigen Ärzten unterschiedlich ausgelegt werden kann.

2. Teil

Gravierende Fehlentwicklungen der Psychiatrie auch in Niedersachsen erfordern, dass wir uns hier auch zu bestehen bleibenden Teilen des NPsychKG äußern.

Zunächst weisen wir auf Ungleichgewichte zwischen Gesetzesteilen hin, die bei den Betroffenen zu Diskriminierungen führen; der zweite, die Hilfen regelnde Teil ist unkonkret und unverbindlich gehalten, während Schutzmaßnahmen in häufig unnötiger oder schädlicher Weise Grundrechte einschränken (dritter Teil). Da Hilfen der Unterbringung vorausgehen müssen und diese vermeiden sollen, sind sie folglich genau zu benennen und für die Betroffenen einklagbar zu gestalten, sonst ergeben sich hieraus erneut verfassungsrechtliche Bedenken.

Als Beispiel sei die seelische Krise zur Nachtzeit oder am Wochenende genannt, für die verpflichtend geregelt werden müsste, wie ambulante, aufsuchende Hilfen sichergestellt werden. Polizei, Feuerwehr und Notärzte leisten ähnliche Dienste für jeden Bürger selbstverständlich.

Die zentrale Rolle, die den sozialpsychiatrischen Diensten (SpDi) bei der Sicherstellung von Hilfen für Menschen in psychischen Krisen zukommt, wird in vielen Gebietskörperschaften nicht ausgefüllt. Zwar sind die Landkreise und Städte gerne bereit, sich diesen und andere Wirkungskreise aus dem NPsychKG mit den Ausgleichszahlungen übertragen zu lassen, doch fehlt es an Transparenz, ob die Mittel ausreichend sind und zweckgemäß verwendet werden. Hier sollte eine genauere Aufschlüsselung in der Erläuterung zum Gesetz Klarheit schaffen.

Die LPEN e.V. begrüßt in weiten Teilen die Klarstellungen des nds. Staatsgerichtshofes bzgl. der Verfassungskonformität im Maßregelvollzugs- und Unterbringungsrecht. Allerdings bestand das Legitimitätsdefizit bereits in der Vergangenheit bei privaten Anbietern, die Unterbringungen und unterbringungsähnliche Maßnahmen vollzogen, und war ebenso in den Einrichtungen des Landes unzureichend geregelt. Zudem dauert der verfassungswidrige Zustand bis zur Umsetzung einer außreichenden gesetzlichen Regelung fort, sodaß zu fragen ist, wie die Landesregierung diesen Umstand aktuell beseitigen will.

Der Einschätzung aus dem Gesetzentwurf, ärztliches und pflegendes Personal sei durch berufsständische Berechtigungen zum Verwaltungsvollzug qualifiziert, können wir in keiner Weise zustimmen. Neben den Ausgestaltungen von Ausbildungsgängen und Curricula oder Approbationsordnungen bestehen in den Bundesländern 16 sehr unterschiedliche Bestimmungen zu Unterbringungen, sodaß bei Freizügigkeit am Arbeitsmarkt weitere Komplikationen auftreten; ein in Bayern ausgebildeter Pfleger kann mit dem NPsychKG und der Vielzahl weiterer Gesetze und Verordnungen in Niedersachsen, auf die Bezug genommen wird, nicht qua Berufsausbildung vertraut sein. Dies ist selbst bei leitenden Ärzten in Niedersachsen nicht der Fall gewesen.

Einfacher und deshalb zu fordern ist eine umfassende Qualifizierung der zu bestellenden VerwaltungsvollzugsbeamtInnen und Prüfung durch die Aufsichtsbehörde;

dabei ist ebenso auf die charakterliche Eignung zu achten, die am sinnvollsten in einer Probezeit nachgewiesen und durch Supervision sichergestellt wird. Eine erneute unzureichende Regelung birgt die Gefahr weiterer Verfassungsdiskussionen, die auch aus der mangelhaften Praxis der Fachaufsicht resultieren würde.

Die wichtige Aufgabe, die Kontrollgremien von Einrichtungen zukommt, die zu Einschränkungen von Grundrechten befugt sind, muß ebenso bei den Besuchskommissionen gestärkt werden. Diese kommen ihrem Prüfauftrag in unterschiedlicher Weise nach. Es soll klargestellt sein, das der Prüfauftrag in eiligen Fällen sofort wahrgenommen wird. Immer wieder erfordern dramatische Schädigungen bis hin zu Todesfällen diese Vorgehensweise. Interessenkonflikte von Kommissionsmitgliedern, die in zu prüfenden Einrichtungen tätig sind, müssen beachtet und vermieden werden.

Ein Hauptkritikpunkt an der gegenwärtigen psychiatrischen Praxis von Seiten der Betroffenen ist die Möglichkeit zur Zwangsbehandlung.

Eine Vielzahl von Studien, Analysen und Neuerungen auf therapeutischem Gebiet stellt die zu beobachtende Verengung bei der Behandlung psychischer Störungen auf somatische Ansätze massiv in Frage. Insbesondere die zentrale Stellung der Psychopharmakotherapie wird durch Langzeitstudien und Untersuchungen der evidenzbasierten Medizin erschüttert, so das diese nach über 50 Jahren des Einsatzes in der Psychiatrie als gescheitert betrachtet werden muß.

Wir verweisen z.B. auf das „Memorandum der DGSP zur Anwendung von Antipsychotika“ und die zusammenfassende Darstellung von Stefan Weinmann, „Erfolgsmythos Psychopharmaka“. Diese schädliche Entwicklung ist besonders unverständlich, da seit Jahrzehnten erfolgreichere, d.h. auch unschädliche Therapien selbst der psychotischen Krisen praktiziert werden: Windhorse-Projekt, Soteria, „Need-Adapted-Treatment“, Recovery-Projekt, Krisenpensionen, um nur einige zu nennen. In Deutschland bestehen in diesem Bereich durch Versagen auch auf der gesetzgeberischen Ebene kaum Angebote, obwohl etwa in Skandinavien und England dergleichen Therapien schon Regelversorgung abdeckt.

Vor diesem Hintergrund kann von anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst (§ 21 NPsychKG) nicht die Rede sein; üblicherweise erhält der Untergebrachte in Niedersachsen einseitig ein veraltetes, gefährliches Behandlungskonzept angeboten, nachhaltige Alternativbehandlungen (s.o.) werden ihm vorenthalten.

Verpflichtungen für den Patienten, derartige Behandlungen zu dulden, oder die Überwindung seines entgegenstehenden Willens sind daher weder therapeutisch noch verfassungsrechtlich zu billigen. Die in höchstrichterlichen Urteilen geforderten saldierenden Abwägungen zur Behandlung gegen den Willen müssen in jedem Fall negativ ausfallen, da Zwang eine Reihe von zusätzlichen Schadwirkungen hervorruft, die keinen Therapieerfolg übriglassen.

In der Suchttherapie ist diese Auffassung bereits Konsens; umso mehr bei psychischen Krisen, die nach moderner Auffassung viele unterstützenwerte Aspekte aufweisen, und durch medikamentöse Unterdrückung nicht bewältigt werden können, sodaß sie rezidivieren und chronische Verläufe annehmen.

Die zweite Begründung der Behandlung gegen den Willen des Betroffenen im NPsychKG, die Gesundheit anderer zu schützen, stellt zwar ein konkurrierendes Grundrecht dar, kann aber mit anderen, milderen Mitteln besser geschützt werden. Unverständlicherweise wird in diesem Zusammenhang oft übersehen, dass die zwangsweise Gabe von Medikamenten irreversibel und zusätzlich mit Beschränkungen der Freiheit verbunden ist. Es werden also zwei Grundrechte beschnitten und Langzeitschäden erzeugt. Dies ist unverhältnismäßig, daher weder der Verfassung noch der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Art.17) entsprechend.

Einlassungen, Bestimmungen des SOG und die einschlägige Rechtsprechung von Bundesgerichten würden Zwangsbehandlung erlauben, soweit die Güterabwegung zwischen Grundrechten und das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet sei, können nach oben gesagtem nicht überzeugen. Zudem wird in der Fachdiskussion immer beklagt, daß diese engen Grenzen in der Praxis von Gerichten und Ärzten regelmäßig nicht beachtet werden. So wird § 21 NPsychKG zu einer Art Freibrief zur Zwangsbehandlung, obwohl diese Behandlung nach oben gesagtem in keinem Fall mehr grundrechtskonform ist.

Daraus ergibt sich die Forderung, die Absätze zwei und drei des § 21 NPsychKG zu streichen und bei der Beschreibung der Art der Behandlung den genannten, unberücksichtigten Entwicklungen (Behandlungsalternativen) Rechnung zu tragen; die Behandlung hat immer freiwillig zu sein, denn auch eine scheinbar bloße Unterbringung ohne „Behandlung“ ist eine Auszeit mit positiven Wirkungen für den Zustand des Betroffenen und geeignet, im weiteren Verlauf das Vertauen des Patienten und seine Mitwirkung zu fördern.