Entwurf Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Therapieunterbringungsgesetzes

Stellungnahme zum Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Therapieunterbringungsgesetzes

Okt. 2012

Vorbemerkungen

Bei diesem Gesetzesentwurf handelt es sich aus unserer Sicht um eine verwickelte, etliche Urteile, Gesetze und Zuständigkeiten tangierende und brisante Materie. Daher hätten wir uns für die Stellungnahme mehr Zeit als die zur Verfügung stehenden zwei Wochen gewünscht. Gerne äußern wir uns zu diesem Gesetzesentwurf, merken aber an, ob nicht auch eine Vertretung der Strafgefangenen (sofern es eine solche gibt) Gehör finden sollte, da dem LPEN e.V. ein persönlicher Kontakt zum betreffenden Personenkreis fehlt.

1.Grundsätzliches

  • Das ThUG steht in Konkurrenz zum Nds. MVollzG und zum PsychKG.
  • Die Vita der gefangenen Beschwerdeführer vor dem EMRG zeigt, dass die jetzige Situation, auf deren Hintergrund dieser Gesetzentwurf entstanden ist auch ein Ausdruck schwerer Versäumnisse im Jugendschutz und Strafvollzug ist.

2.Vorschläge zur Gesetzesergänzung

  • Das Ausführungsgesetz in Verbindung mit dem ThUG könnte den Eindruck erwecken, der Unterbringung von Personen zu dienen, die man ansonsten entlassen müsste. Daher ist auf die Diagnostik (§9 ThUG)einer psychischen Erkrankung besondere Sorgfalt zu verwenden und dem/der Betroffenen ein Gutachter ihrer/seiner Wahl zu bezahlen. Ein aussagekräftiges Gutachten erfordert (neben anderen Kriterien) Zeit, um den Betroffenen ausreichend kennen zu lernen. Auf einschlägige Kommentierungen zur ordnungsgemäßen Begutachtung sei verwiesen. Für das Verfahren sollte dem Unterzubringenden ein Rechtsbeistand seiner Wahl zur Verfügung stehen, für dessen Leistungen der Rahmen der Gebührenordnung ausgeschöpft werden kann.
  • Die Unterbringung (§2 Ausführungsgesetz zum ThUG) hat möglichst in der Nähe des Sozialisationsortes zu erfolgen, um eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu gewährleisten.
  • In der Stellungnahme der LPEN e.V. zur letzten Novellierung des NPsychKG gehen wir ausführlich auf die Problematik der psychiatrischen Behandlung (§4 Ausführungsgesetz zum ThUG), auch die Möglichkeit zur Verabreichung von Psychopharmaka gegen den Willen des Betroffenen ein. Es wäre viel gewonnen, wenn sich alle Beteiligten objektiv mit den tatsächlichen Wirkungen der Psychopharmakotherapie auseinander setzen würden (im Saldo negativ), anstattaus verschiedensten Gründen ein psychiatrisches Dogma zu pflegen. Inzwischen hat das BVerfG (2BvR882-09) in zwei grundsätzlichen Urteilen die einschlägigen Ländergesetze für nichtig erklärt und für die Zwangsbehandlung einen umfangreichen Katalog von Voraussetzungen zusammengestellt. Das jetzige Ausführungsgesetz zum ThUG verzichtet erfreulicherweise gänzlich auf die Ermächtigung zur Zwangsbehandlung und geht damit über die Vorgaben des höchsten Gerichtes hinaus. Allerdings steht in §4 weiterhin die medizinische Behandlung an erster Stelle; zudem ist im Gesetzestext immer von einem Arzt die Rede nicht von einem Psychotherapeuten. Daher befürchten wir, dass den Untergebrachten auch hier die erfolgreichsten Behandlungsmodelle psychischer Erkrankungen vorenthalten werden. §4,1Satz3 begrüßen wir, weisen aber darauf hin, dass eine Reihe von Psychopharmaka, an die in diesem Zusammenhang gedacht wird, geeignet sind, die genannten Persönlichkeitsveränderungen herbeiführen können.
  • Besonders problematisch stellt sich die Einfügung einer Regelung der so genannten „Notfallbehandlung“ (§6 Ausführungsgesetz zum ThUG) dar. In seinem Urteil zur Zwangsbehandlung rügt das BVerfG das Fehlen von medizinischen Standards zur Behandlung gegen den Willen des Betroffenen.(2 BvR 882/09). Ähnlich unkonkret sind die Vorstellungen vom sog. Psychiatrischen Notfall, an den in der vorliegenden Bestimmung wohl gedacht ist. Es mutet skurril an, bei der Abwehr einer gegenwärtigen, erheblichen Gefahr für fremde Rechtsgüter ausgerechnet an Behandlung (mit Psychopharmaka) als Mittel der Wahl zu denken. Sollte es gelingen, in einer solchen Notfallsituation den Untergebrachten in einen Zustand zu bringen, der ihn behandlungsfähig macht, besteht die Notfallsituation nicht mehr. Mit anderen Worten: der Untergebrachte ist überwältigt und kann keine Gefahr mehr darstellen. Nach gesagtem wird vollends unverständlich, wozu eine zweiwöchige Frist gesetzt ist und welche Behandlungsziele gemeint sein könnten. Vorgehen und Ziele der Gefahrenabwehr sind im entsprechenden Landesgesetz ausreichend geregelt (SOG), so dass § 6 überflüssig ist. Damit ist auch die Gefahr des Missbrauchs des sog. Psychiatrischen Notfalls umgangen, bei dem dieser herbeigeführt wird, um eine für Zwecke der Einrichtung gewünschte, aber sonst nicht zulässige Behandlung durchzuführen. Auch hier würde eine Beweislastumkehr den eklatanten Beweisnotstand aufseiten des Untergebrachten mildern.
  • Im Falle von Beschwerden (§7 Ausführungsgesetz zum ThUG) ist die Beweislast umzukehren, da das BVerfG im Jahr 2011 und der BGH in Nr.115/2012 Folgendes festgestellt haben: „Die weitreichenden Befugnisse der Unterbringungseinrichtung und die dadurch eingeschränkten Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch Außenstehende setzten den Untergebrachten in eine Situation außerordentlicher Abhängigkeit, in der er besonderen Schutzes auch dagegen bedürfe, dass seine grundrechtlich geschützten Belange etwa aufgrund von Eigeninteressen der Einrichtung oder ihrer Mitarbeiter bei nicht aufgabengerechter Personalausstattung oder aufgrund von Betriebsroutinen unzureichend gewürdigt würden.“

Schlussbemerkung

In der vorliegenden Fassung läuft der Gesetzentwurf Gefahr vom BVerfG bzw. vom EMRG erneut als nicht grundrechtskonform eingestuft zu werden.