Beschlussfassung
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- Erstellt am Donnerstag, 03. August 2006 23:00
- Veröffentlicht am Mittwoch, 03. Juni 2009 23:16
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(August 2006) Stellungnahme der Selbsthilfeverbände zur Beschlussfassung des Ausschusses für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung in Niedersachsen
I. Teil
Zunächst möchten wir uns als BetroffenenvertreterInnen der Landesarbeitsgemeinschaft Niedersachsen, des Vereins Psychiatrie-Erfahrener der Region Hannover und der Angehörigen Hildesheims für die Einladung zum gemeinsamen Gespräch nach Wunstorf bedanken, in dem wir unserer Betroffenheit zum Beschluss des Ausschusses persönlich Ausdruck verleihen konnten.
Mit Freude sehen wir der Verwirklichung Ihres Versprechens entgegen, uns in Zukunft bei entsprechenden Fragestellungen mit einzubeziehen sowie sich dafür einzusetzen, uns bei der Besetzung relevanter Gremien zu beteiligen.
Außerdem verabredeten wir entweder einen gemeinsamen oder jeweils, einen eigenen Text zu veröffentlichen. Der Text des allgemeinen Teils lehnt sich an die „Allgemeinen Handlungsempfehlungen zur Psychiatrie„ des trialogischen Kongresses „Weil der Mensch ein Mensch ist…„ an, der 2004 in Düsseldorf stattfand.
1. Die Würde des Menschen ist unantastbar
In allen Episoden psychischer Auffälligkeit müssen unsere im Grundgesetz manifestierten Menschenrechte geachtet werden. Dieses gilt besonders für die Ausübung der ordnungsrechtlichen Funktion der ambulanten und stationären Psychiatrie und für die Betreuungen.
Leider sind massive Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte wie Fixierungen, Isolierungen, Zwang zur Medikation und Disziplinierungen in Deutschland im europäischen Vergleich noch immer stark ausgeprägt. Nachweislich passieren diese Eingriffe in Recht und Gesundheit häufig weit über das rechtlich geforderte geringstmögliche Maß hinaus.
In einem Klima, das gegenseitige wertschätzende Haltung zulässt, in dem vertrauensvolle Interaktion geschehen kann mit dem Ziel der Begleitung wären Gewalt und Zwangsmaßnahmen weitgehend vermeidbar.
Der Reduzierung jeglicher Zwangsmaßnahmen auf wenige Einzelfälle muss höchste Priorität eingeräumt werden. Finden sie Anwendung, müssen diese im Rahmen intensiver Zuwendung, Begleitung und Nachsorge unter gezielter Qualitätsentwicklung erfolgen.
Unter der Zielsetzung, die professionell angewandten Verfahren transparent zu machen, diese aus trialogischer Sicht zu bewerten und systematisch den Rahmen für de-eskalierende Behandlungsformen zu entwickeln und in den professionellen Umgangsformen zu verankern,
könnte ein Umfeld entstehen, das beiderseitige Würde und persönliche Integrität implementiert, die Grundlage jeder Gewaltfreiheit.
Hier sind in der berufsethischen Ausgestaltung der verschiedenen Ebenen der Hilfeleistung partnerschaftliche Formen des Ver- und Aushandelns die Norm, die Rücksicht nimmt auf geschlechter- und kulturspezifische Ausgestaltung des Behandlungsangebots.
Maßnahmen der patientenorientierten Qualitätssicherung können in der Behandlung Re- und Zweittraumatisierungen des Betroffenen verringern.
Auch der Gewalt und dem Zwang im Vorfeld zwischen Betroffenen, Angehörigen, Behandlern, den Sozialpsychiatrischen Diensten oder der Ordnungsmacht, die oft als bedrohlich oder entwürdigend beschrieben wird, muss systematisch durch Aufklärung und De-Eskalation entgegengewirkt werden.
2. Änderung der Behandlung durch ein ganzheitliches Menschenbild
Schwerpunktmäßig setzt psychiatrische Praxis und Forschung derzeit aufgrund der biologistisch-genetischen Ursachenvermutung auf den Einsatz von Psychopharmaka. In dieser Betrachtung wird im Wesentlichen nach äußeren Symptomen diagnostiziert, die die pharmakologische Therapie rechtfertigt. Unterstützt durch die Pharmaindustrie - uns ist z.B. bekannt, dass die oft umfangreichen Warenproben von Psychopharmaka an die Kliniken nicht als Wareneingang deklariert werden- und soziale Diskriminierung beginnt der Teufelskreis, der berühmte Drehtüreffekt, für den Betroffenen, d.h. oft:
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lebenslange Einnahme der Mittel mit deutlicher Beeinträchtigung der Lebensqualität
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unzählige stationäre Aufenthalte und Arztkonsultationen
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Gefahr der Abhängigkeit und des Erleidens irreparabler Spätschäden wie Dyskinesien und Diabetes
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drastische Verkürzung der Lebenszeit
Daraus erwachsen für den Betroffenen oftmals folgende krankheitsförderliche Bedingungen, wie:
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weitestgehender Verlust der persönlichen Autonomie
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soziale Isolation und Stigmatisierung
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Verlust des familiären Kontextes
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Verlust der beruflichen und gesellschaftlichen Integration
Hilfen zur Heilung z.B. bei der Suche nach den Ursachen, bei sozialen Problemen, die zu der Krise führten bzw. aus ihr erwachsen und das Erlernen von Verhaltensänderungen und -strategien, die Wiederholungen vermeiden helfen, spielen, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle.
Im ganzheitlichen Menschenbild werden psychosoziale und lebensgeschichtliche Daten mit einbezogen, die konstruktive Hilfen deutlich werden lassen, wie:
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die Anerkennung des Betroffenen als „Experte durch gelebte Erfahrung“
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ein Krankenhauskollegium, das diese mit einbezieht und dies als Bereicherung empfindet
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die Hilfe zur Selbsthilfe, z.B. durch Reflektion in der Psychotherapie zu erkennen, welche persönlichen Lebensumstände und Verhaltensweisen zur Krise führten, um diese sinnvoll und überlegt zu verändern
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Gleichstellung von psychiatrischen und somatischen Patienten in der Möglichkeit, mitentscheiden zu können, ob z.B. die Psychose ohne Medikamente durchlebt oder mit Medikamenten unterdrückt wird
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Unterstützung bei der eigenverantwortlichen Selbstbestimmung geprägt durch gender- und kulturspezifische Sichtweisen der Helfenden, erworben in Aus- und Weiterbildungen und Einstellung von muttersprachlichen Fachkräften und/oder Schulung interkultureller Kompetenz
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ärztliches Vertrauen in die Selbstheilungskräfte der Betroffenen
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wenn notwendig eine individuell angepasste Medikation auf niedrigem Niveau
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individuelle Nachsorge, wenn der „Schonraum Klinik“ verlassen wird, um den gesellschaftlichen Anforderung angemessen reagieren zu können
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Helfer, die sich mit der Zeit überflüssig machen
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Einbeziehung von betroffenen Bezugspersonen in die Betrachtung und Behandlung Insbesondere die Kinder und Partner der Erkrankten bedürfen der Aufmerksamkeit und Entlastung
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die Behandlung erfolgt in einem personenorientiertem und durchlässigem System von stationären, teilstationären und ambulanten Angeboten, zur Verfügung am besten im gemeindepsychiatrischen Verbund
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eine Haltung der Professionellen, die geprägt ist von Wertschätzung, Empathie, Echtheit im sprachlich angepassten Dialog und gekennzeichnet ist durch Subjekt- und Ressourcenorientierung. Dies setzt eine hohe Sozialkompetenz und Schulung in Gesprächsführung voraus, die Teil der jeweiligen Ausbildung sein sollte.
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Regelmäßige Supervision bzw. Intervision der Behandler sollte selbstverständlich sein
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trialogischer Austausch, z.B. berufsintegrierte Teilnahme an ortsansässigen Psychosegruppen bzw. trialogischen Veranstaltungen und Kontaktpflege mit den Selbsthilfegruppen
Wir brauchen eine unabhängige wissenschaftliche Ursachen-, Therapie- und Versorgungsforschung. Bundesrecht sollte einseitige Beeinflussung von Ärzten, Kliniken und Einrichtungen durch die Pharmaindustrie unterbinden.
3. Ressourcenorientierung und -stärkung sowie Einbeziehung der Selbsthilfe
Krankheit fordert den Betroffenen auf, mehr für seine Gesundheit Sorge zu tragen. Krankheit und Gesundheit sind schon deshalb zwei Seiten einer Medaille. Durch das Aktivieren der Selbstheilungskräfte kann der Einzelne zur eigenen Gesundung beitragen, indem er seine vielfältigen, ihm innewohnenden Ressourcen nutzt. Eine Ressource kann Stabilität bewirken und den Gesundungsprozess vorantreiben, vorausgesetzt der Mensch nimmt sich selbst wertschätzend an. Dabei braucht er die Unterstützung seiner Umgebung, die ihm hilft, seine Potentiale=Ressourcen zu entdecken, anstatt immer nach seinen Schwächen und Fehlern zu fahnden.
Durch diese Bestärkung findet Wiederherstellung und Sicherstellung der Selbstbestimmung, der Eigenverantwortlichkeit, der persönlichen Integrität und Würde des Betroffenen statt.
Selbsthilfe, die die Autonomie des Betroffenen fördert, muss in Fragen der Planung, Gesetzesnovellierungen, Aus - Fort- und Weiterbildung, Forschung und Qualitätsmanagement berücksichtigt werden.
Durch die Förderung und Einbeziehung der individuellen und organisierten Selbsthilfe können Kostenträger und somit auch die Gesellschaft immense Kosten sparen.
Die bestehende Förderung der Selbsthilfe durch die Krankenkassen muss in ihrer Zielgenauigkeit und Praktikabilität verbessert werden.
Alles, was die Selbsthilfe behindert bedarf der Abschaffung, z.B. die gesetzliche Betreuung gegen den Willen.
Der zweite Teil unsere Ausführungen befasst sich mit der rechtlichen Situation von Gewalt und Zwang im ambulanten, stationären und betreuungsrechtlichen Bereich.
II. Rechtlicher Teil
1. Vorbemerkung
Die Einleitung und der Text der Beschlussfassung sind hinsichtlich des die Aktivitäten des Ausschusses veranlassenden Sachverhalts ungenau. Es ist nicht erkennbar, was der eigentliche Auslöser war, Angekündigt wurden außerdem unter anderem:
1. Gespräche mit den zuständigen Ministerien
2. das Einfordern von für Alternativen notwendigen Strukturen, z.B. bei der Justiz.
Hinsichtlich des veranlassenden Sachverhalts muß angenommen werden, dass es die jüngere, teilweise uneinheitlich erscheinende Rechtsprechung war. Diese hat offensichtlich bei Anwendern zu einer gewissen Verunsicherung geführt, die der Ausschuss nun beseitigt sehen will. Sollte diese Annahme richtig sein, dann gäbe es Probleme mit der gesetzlich vorgeschriebenen Zuständigkeit des Ausschusses - er hat nämlich in erster Linie eine Schutz- und Fürsorgefunktion zu Gunsten der Betroffenen.
Was die uneinheitliche Rechtsprechung betrifft, so sollte man sich freuen, dass es diese gibt, zeigt es doch die ausdrücklich gewollte Unabhängigkeit der Gerichte. Die bei Anwendern entstandene leichte Verunsicherung sollte ebenfalls positiv gewertet werden - fördert sie doch einen vorsichtigen Umgang mit Zwangsmaßnahmen und die intensive Beschäftigung mit rechtlichen Vorschriften.
Leider ist bis heute nicht bekannt, ob und ggf. mit welchem Ergebnis inzwischen Gespräche mit den Ministerien geführt wurden. Diese Fragen stellen sich auch hinsichtlich des Einforderns von anderen Strukturen, u.a. bei der Justiz. Sollten solche Aktivitäten bisher unterblieben sein, würden die hierfür maßgeblichen Gründe von Interesse sein.
Nicht überzeugen kann die Forderung, Leitlinien aufzustellen. Diese könnten nur von den obersten Landesbehörden herausgegeben werden, deren Bereitschaft hierzu eher gering sein dürfte. Aus der Sicht der Betroffenen sind solche Leitlinien auch nicht wünschenswert, weil sie tendenziell eher die im staatlichen Auftrag handelnden Anwender schützen würden, als zu einer besseren Rechtsposition der Betroffenen führen dürften. Die Gerichte wären an solche Leitlinien ohnehin nicht gebunden.
Zum rechtlichen Umfeld psychiatrischen Handelns gibt es inzwischen hervorragende Kommentierungen. Hier ist insbesondere der Kurzkommentar „Freiheitsentziehung und Unterbringung„ von Marschner und Volckart (Verlag C.H.Beck) zu nennen. Wer diese Kommentierung liest, braucht keine Leitlinien. Der Kommentar ist auch in psychiatrischen Einrichtungen vorhanden und es ist zu hoffen, dass er ausgiebig genutzt wird.
Zu begrüßen ist die Auffassung des Ausschusses, bestehende Gesetze müßten konsequenter angewendet werden. Diese Aufforderung sollte insbesondere die verfahrensrechtlichen Vorschriften betreffen. Die für Zwangsmaßnahmen vorgeschriebenen Verfahren laufen zu sehr „automatisiert“ ab. Hier sind es besonders die relativ häufig zur Anwendung kommenden Verwaltungsverfahren, z.B. im Rahmen einer Unterbringung nach § 18 NPsychKG. Es dürfte vielfach unbekannt sein, dass dort uneingeschränkt das recht komplizierte Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) maßgeblich ist. Ergänzende rechtliche Vorschriften, z.B. aus dem Bereich des Zustellungsrechtes, werden gleichfalls oft unbeachtet gelassen.
Grundsätzlich gilt, je einschneidender Maßnahmen des Staates sind, umso genauer muss das Verfahrensrecht beachtet werden. Dass dies zu einem größeren Aufwand führt, ist bekannt, jedoch nicht entscheidungserheblich.
Es folgt eine kurze Darstellung von Einzelsachverhalten, die problematisch sind. Auf eine systematische Einordnung dieser Sachverhalte ist bewußt verzichtet worden, weil dies den Umfang unserer Stellungnahme übermäßig erweitern würde. Auf die ausführliche Bewertung der hinreichend bekannten Rechtsprechung wird ebenso verzichtet, dafür aber Probleme rechtlicher Art angesprochen, die nicht Gegenstand von Gerichtsurteilen waren.
2. Zwang - zulässig oder nicht ?
Die Diskussion dieses Themas ist nahezu endlos und wird es auch bleiben. Dies ist für einen Betroffenen in einer akuten Situation nicht weiterführend. Aus rechtlicher Sicht haben Zwangsmaßnahmen jedweder Art die absolute Ausnahme zu sein. In der Praxis wird staatlicher Zwang jedoch öfters angewendet, als dies sachlich notwendig ist (Hinweis Marschner/Volckart). Fachleute wissen sehr genau, was es für Hilfsmöglichkeiten gibt, um in vielen Fällen Zwang zu verhindern; in der Fachliteratur wird dazu Vieles diskutiert. Fragt man nun, weshalb diese Möglichkeiten nicht genutzt werden, gibt es mehr oder weniger deutliche Hinweise auf fehlendes Geld, fehlendes Personal oder fehlende Erstattungsmöglichkeiten der Krankenkassen. Solche Hinweise sind rechtlich verwertbar: Wer mögliche Alternativen zum Zwang kennt, sie aber nicht anwendet, handelt nicht rechtskonform. Ausübung von Zwang ist staatliches Handeln und der Staat kann sich mit den o.g. Argumenten nicht herausreden.
Lesenswert ist in diesem Zusammenhang die Kommentierung von Kopp zum Verwaltungsverfahrensgesetz (§ 10). Er führt u.a. aus, daß Arbeitsüberlastung oder Ausfälle im Personalbereich keine Rechtfertigungsgründe für abweichendes, behördliches Handeln darstellen und verweist auf die Verpflichtung der Haushaltsgesetzgeber, hier Abhilfe zu schaffen ( Anm.: sinngemäß und verkürzt wiedergegeben). Das VwVfG spielt im übrigen eine Rolle bei der Unterbringung nach § 18 NPsychKG.
3. Probleme im Verfahrensbereich
Es muss gefordert werden, dass alle Verfahren, die Zwangsmaßnahmen zum Ziel haben, unter akribischerdeutlicher Fremdgefährdung polizeiliche Maßnahmen möglich sind. Die für solche Maßnahmen rechtlich gut geschulten Polizeibeamten gehen zunehmend zurückhaltender mit Zwangsmitteln um. Beachtung der einschlägigen Rechtsvorschriften durchgeführt werden. Dies ist auch in Eilt-Fällen möglich, weil das Gesetz eine Notfallbehandlung zulässt und zudem bei
Die hier geforderte Akribie dürfte wegen des damit verbundenen Aufwandes sehr schnell zur Verringerung von Zwangsmaßnahmen führen.
Übrigens stellen auch die Gerichte (insbes. Berufungsinstanzen) zunehmend Mängel in den Verfahrensabläufen fest; als Beispiel seien hier unzureichende Gutachten oder die Nichtbeachtung von Willensäußerungen (z.B. Patientenverfügungen) genannt. Es sind Dinge, die auf einen lässigen Umgang mit Vorschriften schließen lassen.
Hier noch einige weitere Hinweise, die insbes. das Verwaltungsverfahren betreffen:
- unzureichende Sachverhaltsermittlungen
- fehlendes rechtliches Gehör
- Nichtbeachtung von Erkenntnissen anderer Behördenteile (Betreuungsbehörde, sozialpsychiatrische Dienste)
- keine ausreichenden Begründungen der Verwaltungsakte
- Zustellungsmängel
- fehlende Bereitschaft, Widersprüche sofort in einer Niederschrift aufzunehmen
- Unterlassen verfahrensvorausgehender Hilfsmaßnahmen (s. Ziffer 8.)
Es muss leider immer wieder festgestellt werden, dass die im § 15 NPsychKG genannten Krankenhäuser die zentrale (steuernde) Rolle der Sozialpsychiatrischen Dienste nicht ausreichend beachten. Hier sollte das Ministerium lenkend eingreifen. Die oberste Gebietskörperschaft hat gleichfalls Steuerungsmöglichkeiten bezüglich der Sozialpsychiatrischen Dienste (übertragener Wirkungskreis, somit § 5 Abs.5 NGO und § 4 Abs.5 NLO anwendbar) und damit sind ausreichende Gestaltungsmöglichkeiten vorhanden.
Auch die Gerichte können die kommunale Ebene zu Hilfen anregen. Ein bemerkenswertes Urteil stammt vom OLG Oldenburg. Hier wurde die Erweiterung einer Betreuung abgelehnt und zwar mit dem Hinweis, dies könne ebenso kommunale Sozialarbeit leisten (Beschluss 5W79/03 vom 29.05.2003). Die hier aufgestellten Grundsätze sind auf viele andere Fallsituationen übertragbar.
Wichtige Unterstützung erhalten die Betroffenen durch Beratungs- und Prozesskostenhilfe. Für dieses staatliche Angebot sollte mehr geworben werden.
Geklärt werden sollte daneben, wie ein Betroffener z.B. Beratungshilfe erhält, wenn der zugrundeliegende Sachverhalt unvorhersehbar, z.B. nachts, entsteht. Über die Beratungshilfe entscheidet das Amtsgericht und dieses dürfte zu einem solchen Zeitpunkt nicht erreichbar sein. Wenn der Staat aber etwas anbietet, muß er auch verfügbar sein, sobald er zur Entscheidung gebraucht wird. Als Lösung denkbar wäre eine generelle Genehmigung für solche Fälle; aber auch die Übertragung der Entscheidungsmöglichkeit auf Andere.
5. Gründe für Zwangsmaßnahmen
Hier soll nicht auf diese sehr umfangreiche Rechtsmaterie eingegangen, sondern nur ein Sachverhalt herausgegriffen werden, der oft berichtet wird. Ist der Patient z.B. mit Maßnahmen der mit dem Vollzug beauftragten Personen nicht einverstanden, dann kann er dies selbstverständlich verbal kundtun und zwar durchaus mit äußerster Deutlichkeit. Als Reaktion darauf verbietet sich jede Zwangsmaßnahme einschließlich der Drohung mit einer Solchen. Die ausführliche sofortige Abarbeitung solcher Beschwerden sollte ein Gebot sein und zwar zu jeder Zeit und in einem ausreichenden Umfang; möglichst noch unter Zuhilfenahme von Vertrauenspersonen. Es ist im Übrigen eine Verpflichtung des Staates (hier der im § 15 NPsychKG genannten Krankenhäuser), die Verfügbarkeit von solchen Personen zu fördern. Es kann nicht einerseits eine Möglichkeit eingeräumt werden, die aus tatsächlichen Gründen -Betroffene leben oft isoliert - nicht genutzt werden kann und andererseits das Schaffen von entsprechenden Infrastrukturen unterbleiben. Solche Strukturen sind nahezu kostenneutral im Bereich der Ehrenamtlichkeit zu schaffen.
6. Qualität von Gutachten
Kritische Äußerungen zur Qualität ärztlicher Gutachter nehmen deutlich zu. Es handelt sich dabei nicht nur um Klagen von Betroffenen, die vielleicht mit dem Ergebnis eines Gutachtens nicht einverstanden sind. Es sind vielmehr Behörden und Gerichte, die zunehmend so große inhaltliche Mängel feststellen müssen, dass eine Einbringung in das jeweilige Verfahren unmöglich ist. Es bleibt unverständlich, weshalb ärztlicherseits hierauf nicht reagiert wird. Die folgende Aufstellung ist ein Auszug aus einer Mängelliste:
- Die teilweise handschriftlich verfaßten Gutachten sind nicht oder nur schwer lesbar.
- Die Inhalte sind nicht auf die Verständnismöglichkeiten der Entscheider und der Adressaten der richterlichen Anordnungen oder der behördlichen Verwaltungsakte abgestimmt.
- Insbesondere Ordnungsbehörden, deren schnelle Entscheidung benötigt wird, müssen teilweise telefonische Rückfrage halten, um die Gutachten verwertbar zu machen. Dies ist ein rechtlich ohnehin sehr angreifbares Verfahren.
- Die Gutachten enthalten keine ausreichende Darstellung des Sachverhaltes, der zur Annahme einer Gefährdung geführt hat.
Ebenso kritikwürdig ist der Umgang mit Gutachten. Werden nämlich Gutachten Grundlage einer Entscheidung, muß erkennbar sein, dass der Entscheider die Inhalte detailliert nachvollzogen und für verwertbar gehalten hat. Dies muß in den Entscheidungsgründen auch nachlesbar sein. Weil dies oft nicht der Fall ist, entsteht der Eindruck, das Gutachten sei schon die Entscheidung.
Den Gutachten sollte entnommen werden können, dass sie dem neuesten fachlichen Erkenntnisstand entsprechen! Bemerkenswerterweise gibt es auch Fälle, in denen Antragsteller, Gutachter und Vollzugsbediensteter identisch sind. Dies wird aus rechtlicher Sicht als sehr fragwürdig angesehen.
Die Zustellung von Anordnungen und Verwaltungsakten wird oft sehr „locker„ gehandhabt. Wegen der weitreichenden Folgen sollte stets mit Urkunde zugestellt werden. In einem solchen Verfahren stellt sich dann die Frage, ob der Empfänger in der Lage ist, ein Schriftstück wirksam zu empfangen.
Es verwundert schon, dass ein Arzt beim Patienten einen psychischen Ausnahmezustand feststellt, ihm aber durchaus zumutet, dass ihm Schriftstücke wirksam ausgehändigt werden können. Dies gilt im übrigen auch für den Abschluß der sehr einseitigen, zuungunsten des Patienten gestalteten Krankenhausaufnahmeverträge (einschl. der hier zitierten Hausordnungen). Darin wird der Patient nun für so einsichtig gehalten, dieses zu verstehen, um später ggf. Forderungen gegen ihn einklagen zu können.
Hinsichtlich der Rechtsproblematik wird auf die Kommentierungen von Dr. Sattler verwiesen (Kommentar zum VwVG und VwZG im C.F. Müller Verlag).
Die hier angesprochene Problematik ist nicht neu. Es wird der Eindruck erweckt, als bestünden hier gleichwertige Alternativen. Dies ist schon aus tatsächlichen Gründen nicht der Fall. Während nämlich eine Behörde rund um die Uhr erreichbar zu sein hat, trifft dies für einen Betreuer nicht zu. Krisensituationen entstehen meist außerhalb der üblichen Tageszeiten. Da in diesen Situationen ein Betreuer nur selten helfen kann, ist es oft nicht nachvollziehbar, dass einem Betreuer auch die Verantwortung für die Gesundheit des Betroffenen übertragen wird.
Eine weiterführende Aussage über die richtige Verfahrenswahl ist erst möglich, wenn alle Vor- und Nachteile der beiden Verfahren sorgfältig tabellenartig gegenübergestellt werden. Dies ist nicht ganz einfach, weil dabei die Dauer einer rechtlichen Bindung, Kosten und anderes eine wesentliche Rolle spielen.
Es geht hier nicht darum, die leidige Diskussion um sogen. Krisendienste weiter zu führen, sondern die Frage, inwieweit auf kommunaler Ebene eine rechtliche Verpflichtung besteht, ein Hilfsangebot einer Zwangsmaßnahme vorauszustellen.
Dies anzusprechen sollte eigentlich überflüssig sein, weil schon der Gesetzgeber diese Intention hatte und die Angelegenheit im NPsychKG zugunsten der Betroffenen geregelt hat. In diesem Gesetz wird ein Hilfsangebot bereitgehalten und zwar ohne jegliche zeitliche Eingrenzung.
Eine Diskussion über eine Bereitschaft nur zu bestimmten Tageszeiten ist deshalb überflüssig. Selbstverständlich sind hier die Behördenleitungen aufgefordert, den Sozialpsychiatrischen Diensten personell entsprechend zu helfen, denn bei Polizei und Rettungsdiensten ist dies ja auch gang und gäbe.
Anläßlich von Zwangsmaßnahmen ist ein vorgeschaltetes Hilfsangebot aus rechtlicher Sicht sogar zwingend. Bereits in der Landtagsdrucksache 13/3769 ist zum § 2 der damals geplanten Novellierung des NPsychKG ausgeführt, dass die Hilfen des zweiten Teils des Gesetzes eine Unterbringung verhindern sollen. Allzu gerne wird darauf verwiesen, dass diese Hilfen keinen Vorrang vor der Unterbringung haben sollen, dabei aber übersehen, dass dies nur gilt, wenn der Betroffene eine Hilfe ablehnt. Man braucht nur weiterzulesen, um festzustellen, dass in dieser Drucksache im letzten Absatz zu § 14 (§ 16) diese Hilfen ausdrücklich als ein Mittel gesehen werden, um eine Gefahr auf andere Weise abzuwenden und erst dann eine Unterbringung nach dem NPsychKG zulässig ist.
Die Beachtung dieser Grundsätze ist dringend geboten. Insbesondere Verwaltungsakte im Rahmen des § 18 müssen in ihrer Begründung eine Aussage hierzu enthalten.
10. Tätigkeit der Institutsambulanzen
Es wird nicht bestritten, dass Institutsambulanzen wichtig sind. Geprüft werden müßte allerdings, ob die dort über den Patienten gesammelten Daten für Zwangsmaßnahmen im stationären Bereich verwendet werden. Für den Fall, dass dies stattfindet, muß die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise geprüft werden.
Der Datenschutz in der Ambulanz muß unseres Erachtens nach dem im Bereich der niedergelassenen Ärzte gehandhabten entsprechen.
11. Vollzug behördlicher und richterlicher Anordnungen in Einrichtungen gemäß §15 NRsychKG
Die Bediensteten der im § 15 NPsychKG genannten Krankenhäuser werden dafür eingesetzt, die o.g. Anordnungen zu vollziehen. Neuere Diskussionen - auch mit Anwendern - haben die Frage aufkommen lassen, ob und ggf. in welcher Form (einzeln oder generell) diese Bediensteten zum Vollzug bestellt werden. Zu prüfen wäre ebenfalls, ob für die o.g. Einrichtungen die Vollz.Bea VO vom 13.3.1995 (geändert am 11.5.2001) gilt. Auf § 1 Abs.1 Ziff.9 dieser VO wird verwiesen.
Die Klärung dieser Fragen ist bedeutsam, weil hierfür eingesetzte Bedienstete über qualifizierte Rechtskenntnisse verfügen müssen (Hinweise auf Kommentierungen zu § 50 Nds. SOG). Diskussionen aus neuerer Zeit lassen Zweifel am Vorhandensein ausreichender Rechtskenntnisse aufkommen. Dies kann durchaus belegt werden. Es sei noch darauf verwiesen, dass die diesbezüglichen Diskussionen in einem größeren Kreis von Teilnehmern geführt wurden.
Die Qualität von Rechtskenntnissen spielt auch eine Rolle, wenn es um die Frage der Eignung von Krankenhäusern geht (§ 15 NPsychK). Gewiß ist dieses nur eines von mehreren Merkmalen.
Besondere Erwähnung verdient, dass Krankenhäuser nach § 15 NPsychKG Behandlungsalternativen bereit halten müssen, um Gerichten und Verwaltungen Beurteilungsspielräume im Rahmen von Unterbringungen zu bieten (z.B. Auswahl der stationären Einrichtungen) und den Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden.
In diesem Zusammenhang sind Erkenntnisse der Medizinischen Hochschule Hannover, an der „Soteria-Elemente“ erprobt werden, von Interesse. Einem Interview mit Prof. Wielant Machleit ist zu entnehmen, daß Zwangsmaßnahmen (Anm.: hier ist offensichtlich nicht die Zahl der Unterbringungsverfahren gemeint) um 82 Prozent zurückgegangen seien (veröffentlicht in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 31.7.2006).
Diese Erkenntnisse sollten eine Rolle spielen, wenn Richter oder Verwaltungsbedienstete zu entscheiden haben, ob ein bestimmtes Krankenhaus im Sinne des § 15 NPsychKG geeignet ist. Diese Ausführungen sollen zugleich eine Anregung für die Tätigkeit der Besuchs- kommissionen sein. (Um Mißverständnissen zu begegnen, wird darauf verwiesen, daß es uns hierbei nicht um Fragen des Maßregelvollzugs geht.)
Es wird immer wieder beklagt, dass im Rahmen einer persönlichen Anhörung durch den Richter eine größere Gruppe von Personen (4 - 5) dem in einer mißlichen Lage befindlichen Patienten gegenübersteht. Dieser empfindet eine solche Gruppe als Übermacht und es entstehen bei ihm Ohnmachtsgefühle, die alles andere als therapeutisch sinnvoll zu werten sind. Eine Anhörung ist zuallererst ein Vorgang, an dem ein Richter und der Patient mit seinem Verfahrenspfleger beteiligt sind. Allenfalls kann der Richter ausnahmsweise einen Arzt als Gutachter direkt beteiligen. Andere Personen dürfen nur anwesend sein, wenn der Betroffene zustimmt; sofern er dazu in der Lage ist.
Aus Zeitgründen kann hier auf Probleme mit Verfahrenspflegern nicht eingegangen werden. Es wird nur angeregt, einmal zu untersuchen, in welchem Umfang Verfahrenspfleger Verfahrensfehler verhindern.
In nachhaltiger Form sollte der Betroffene daher unterrichtet und unterstützt werden, um in Anhörungen eine Vertrauensperson beteiligen zu können.
Im Rahmen behördlicher und gerichtlicher Verfahren, die zu Zwangsmaßnahmen führen, sollte im Vorfeld alles vermieden werden, was von Betroffenen als Stärkung der Personen empfunden wird, die später entsprechende Maßnahmen vollziehen. Einem engagierten Arzt wird nur so die Möglichkeit geboten, ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis aufzubauen. Das Krankenhaus als Institution hat hier zurückzustehen und sollte dem behandelnden Arzt Freiräume für seine Tätigkeit schaffen. Dieser hat dann mehr Möglichkeiten, ohne Zwang zu behandeln, was im Ergebnis dem Patienten zugute kommt.
13. Beweissicherungsprobleme im Rahmen der Unterbringung
Der Betroffene befindet sich zumindest am Beginn einer Unterbringungsmaßnahme in einem Ausnahmezustand. Er hat deshalb fast keine Möglichkeit, sich im rechtlichen Bereich um seinen eigenen Schutz zu kümmern und z.B. Beweise zu sichern, die es ihm später ermöglichen würden, sich gegen Maßnahmen zu wehren, die er als nicht rechtskonform feststellt. Der Gesetzgeber hat dieses Problem erkannt und vorgesehen, daß er eine Person seiner Wahl benachrichtigt (s. entsprechende Regelungen im NPsychKG in Verbindung mit Nds.SOG). Es ist vorgeschrieben, dass ihm ggf. bei der Benachrichtigung solcher Personen zu helfen ist. Diese „Vertrauenspersonen„ wären auch in der Lage, dem Patienten bei der Beweissicherung zu helfen.
Fachleuten ist hinreichend bekannt, dass viele psychisch Kranke isoliert leben und somit von der gesetzlichen Möglichkeit keinen Gebrauch machen können. Es ist deshalb nicht verständlich, weshalb dennoch keine Strukturen geschaffen werden, die entsprechende Hilfsmöglichkeiten vorsehen.
Die Frage der Beweissicherung ist schon mehrfach aufgeworfen worden - wenn überhaupt gab es hierzu keine überzeugenden Antworten. Wir sind in der Lage, hier entsprechende Lösungen zu diskutieren; u.a. wird an besonders ausführliche Dokumentationen gedacht, die den Patienten ohne große Schwierigkeiten auszuhändigen wären.
Der Beistand durch andere Personen wird in einigen Bundesländern und in einigen europäischen Staaten durch entsprechende gesetzliche Vorgaben gefördert - an Begriffe wie Patientenfürsprecher oder Patientenanwälte sei hier erinnert. Auch ohne direkte rechtliche Regelungen könnten in Niedersachsen entsprechende Möglichkeiten geschaffen werden. Die hiermit erreichbaren günstigen therapeutischen Aspekte sollten Anlaß genug sein.
14. Entwicklung des gesundheitlichen Zustands des Untergebrachten in der stationären Einrichtung
Vielfach werden richterliche oder behördliche Anordnungen als eine Art „Freibrief„ für das weitere Vorgehen im Rahmen vollziehender Maßnahmen gesehen. Dies entspricht nicht den gesetzlichen Vorschriften. Die genannten Anordnungen sind eine Reaktion auf eine Art „Momentaufnahme„ eines Sachverhalts.
Spätere Veränderungen dieses Sachverhalts, also Veränderungen des Zustandes des Patienten, sind auch besonders ausführliche Dokumentation. Nur so kann später der Zeitpunkt festgestellt werden, zu dem Zwangsmaßnahmen hätten beendet werden müssen. So können positive Veränderungen zu einer vorzeitigen Entlassung führen.
Gerichte und Behörden (z.B. im Rahmen einer Unterbringung nach § 18 NPsychKG) haben die Möglichkeit, den Einrichtungen , die vollziehen, konkrete Auflagen zu machen. Hiervon wird zu wenig Gebrauch gemacht. Den Verwaltungsbehörden ist z.B. nicht ausreichend bewußt, dass sie noch nach Beginn einer Unterbringung in den Vollzug eingreifen können. Solche Fälle sind z.B. denkbar, wenn ein Untergebrachter der Behörde Mängel mitteilt, die Zweifel an der Geeignetheit der Einrichtung aufkommen lassen.
Gelegentlich ist berichtet worden, dass von untergebrachten Patienten geäußerte Wünsche zur Kontaktaufnahme mit der Polizei nicht ausreichend unterstützt werden. Diese Anmerkung sollte zum Anlaß genommen werden, daran zu denken, dass Verwaltungsbehörden und Polizei auch für den Schutz privater Rechte zuständig sein können (z.B. Beweissicherung); auf § 1 Abs.3 Nds.SOG wird in diesem Zusammenhang hingewiesen.
16. Fixierungen
In der Praxis haben Fixierungen eine Bedeutung erlangt, die dringend zurückgeführt werden muß. Hierzu beigetragen hat wohl der Umstand, dass sogen. Fixierungsrichtlinien erlassen wurden, die für weniger nachdenkliche Menschen als eine Art gesetzlicher Erlaubnis zu freiheitseinschränkenden Maßnahmen gesehen werden. Im Verhältnis zu einem Patienten haben solche Richtlinien keinerlei Bindungswirkung. Auch Anwender können sich zur Rechtfertigung ihres Handelns (z.B. im Haftungsfall) darauf nicht berufen. Das NPsychKG spricht deshalb lediglich von Freiheitsbeschränkungen und verbindet dies im Text sofort mit einem überdeutlichen Hinweis auf die Tatsache, dass es sich um einen Ausnahmetatbestand handelt.
In der Praxis ist die verfahrensmäßige Behandlung von Freiheitsbeschränkungen zu einem nicht mehr vertretbaren Automatismus geworden. Diese Praxis muß dahingehend geändert werden, dass strikt auf die Einhaltung verfahrensrechtlicher Vorschriften geachtet wird. Hier müßte geprüft werden, ob die entsprechenden, nicht gerade unkomplizierten Regelungen hinreichend bekannt sind. Eine solches Vorgehen dürfte sehr schnell zu einer Verringerung der freiheitsentziehenden Maßnahmen und damit zu einer Anpassung an die Gesetzesnorm führen.
Allgemein ist anzumerken, dass bei einer Freiheitsentziehung der Betroffene fast keine Möglichkeit der eigenen Fürsorge mehr hat, so dass eine vollständige Fürsorgeverpflichtung des Staates entsteht. Dieser Verpflichtung hat der Staat ohne jegliche Unterbrechung nachzukommen. Dazu passen z.B. keineswegs Kontrollen nur in Intervallen. Zu dieser Verpflichtung gehört auch eine ständige Bereitschaft zu beruhigenden Gesprächen und zu weiteren Hilfestellungen (Nahrungsaufnahme, Körperpflege usw.). Deshalb verbietet sich hier ein starres zahlenmäßiges Verhältnis von Personal zu Patienten.
An dieser Stelle einige stichwortartige Hinweise, die das Ergebnis von Befragungen Betroffener darstellen:
- „genervtes“ Personal
Anm.: sollte sofort ausgetauscht werden - Art der Unterbringung (einzeln oder mit anderen Patienten)
Anm.: Hier sollte dem Wunsch des Patienten entsprochen werden. Möchte er keinen Kontakt zu anderen Patienten, dann hat er dafür schon einen Rechtsanspruch aus dem Bereich des Datenschutzes (Daten sind auch die aktuell persönlichen Verhältnisse des Betroffenen). - Verbale und leichte körperliche Renitenz
Anm.: Dies ist kein Anlaß für Fixierungen. - Aufenthalt außerhalb von Räumlichkeiten
Anm.: Dem Betroffenen muß bei andauernder Freiheitseinschränkung täglich für mehrere Stunden die Gelegenheit zum Aufenthalt außerhalb eines Gebäudes gegeben werden. - Vertrauensperson
Anm.: Der Betroffene hat auch noch nach dem Beginn einer Unterbringung das Recht auf Vertrauenspersonen (z.B. Rechtsanwälte). Im Falle einer Fixierung ist es allein Aufgabe staatlicher Einrichtungen‚ ihn hierbei aktiv zu unterstützen.
Allgemein gilt, dass die Dokumentationspflicht des Krankenhauses sich der Nachhaltigkeit einer beschränkenden Maßnahme anzupassen hat. Dies bedeutet im Falle einer Fixierung, die Dokumentationsintervalle haben erheblich kürzer zu sein (ca. alle 3 Stunden). Die Dokumentation muß die Qualität der Prozessfähigkeit erfüllen, d.h. sie hat so ausführlich zu sein, dass es einem Patienten später möglich ist, bei Bedarf staatshaftungsrechtliche Ansprüche durchzusetzen.
Diese Art der Behandlung ist besonders umstritten und sollte deshalb auf extreme Ausnahmesituationen beschränkt bleiben. Der damit befaßte Arzt hat zunächst festzustellen, ob eine Medikation sinnvoll ist. Desweiteren hat eine Einschätzung hinsichtlich einer Wirkung im Akutbereich und einer Wirkung im Langzeitbereich stattzufinden und nur wenn bei einer saldierenden Betrachtung im Ergebnis ein positiver Effekt verbleibt, ist eine Zwangsmedikation überhaupt zulässig. Ist eine Langzeitprognose hinsichtlich der Nebenwirkungen nicht möglich und damit eine saldierende Betrachtung ausgeschlossen, besteht nicht die Möglichkeit zu einer Zwangsmedikation. Außerdem sind die Folgen einer Medikation gegen diejenigen einer Nicht-Medikation abzuwägen.
Dies kann nicht durch die vermeintliche Annahme eines Tatbestandes der Notfallbehandlung umgangen werden, denn die Frage der Notfallbehandlung stellt sich vor der Frage der Zwangsbehandlung.
18. Hinweise zur Stärkung der Rechtsposition der Betroffenen
Wenn man an Anwender und Betroffene denkt, gibt es z.Zt. erhebliche Ungleichgewichte in der Möglichkeit, rechtliche Interessen zu verfolgen. Die Anwender selbst (meist im öffentlichen Bereich tätig) sind hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsstrukturen stabiler und auch wirtschaftlich stärker. Dies gilt insbes. für die Institutionen, für die sie tätig sind.
Dies führt mit Sicherheit zu nicht wünschenswerten, negativen Ergebnissen.
Es ist unverständlich, weshalb im Umfeld von Zwangsmaßnahmen den Betroffenen nicht wesentlich deutlicher gezeigt wird, dass sie beachtliche Rechte haben und ihnen aktiv geholfen wird, diese wahrzunehmen. Dürftige Hinweise reichen dazu nicht aus.
Die Situation könnte zusätzlich verbessert werden, wenn im öffentlich-rechtlichen Bereich vorhandene Ermessensspielräume zugunsten der Betroffenen ausgeschöpft und im zivilrechtlichen Bereich Rechtspositionen zurückgenommen werden. Hier gibt es z.B. erhebliche Spielräume bei den recht einseitig zugunsten der Betreiber gestalteten Krankenhausaufnahmeverträgen. Auch bei der Verfolgung von Schadenersatzansprüchen sind entgegenkommende Regelungen denkbar.
Selbst Menschen in psychischen Ausnahmesituationen sind in der Lage, die Stärkung ihrer eigenen Position wahrzunehmen. Überspitzt und locker ausgedrückt sollte es so sein, dass man dem Betroffenen nachläuft, um ihm seine Rechtsvorteile zu offerieren, anstatt ihn in seinem ohnehin schon schwachen Zustand mühselig sein Recht suchen zu lassen. Das öffentliche Recht fördert in vielen Bereichen nachhaltig diese hier geäußerte Meinung.
Schlussbemerkung
Die dargestellten Probleme zeigen, dass eine Erörterung der jeweiligen Rechtsproblematik dringend geboten ist.
Diese Einschätzung wird durch die Tatsache belegt, dass es nachhaltigster Anstrengungen bedarf, Entscheidungsträger in eine solche Diskussion einzubinden. Wer dann noch das eigentlich Selbstverständliche fordert, dass nämlich staatliche Einrichtungen sich schnell und verbindlich äußern, wird es noch schwerer haben, Gesprächspartner zu finden.
Es wird deshalb vorgeschlagen, den jetzt begonnenen Dialog zu straffen und im kleineren Kreis zu einem Ergebnis zu führen. Diesem Kreis sollte ein Vertreter des Ministeriums, ein Mitglied des Ausschusses und ein Betroffener angehören. Verbindlichkeit in den Äußerungen vorausgesetzt, dürfte eine solche Erörterung wenig Zeit beanspruchen.