Privatisierung NLKH

(Hannover, 27.09.2006) Verein Psychiatrie-Erfahrener Hannover e.V. (VPE) Landesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener Niedersachsen e.V. (LPEN). An den Niedersächsischer Landtag / Abgeordnete der Fraktionen. Privatisierung der NLKH – zu Gunsten von Großkonzernen – zu Lasten kommunaler und regionaler Anbieter? Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Damen und Herren des Niedersächsischen Landtages, hiermit möchten wir gerne unsere Positionen zur Privatisierung der NLKH aus Patientensicht noch einmal erläutern.

Wie auch schon aus den Medien bekannt ist, hat es einige Demonstrationen gegen den Verkauf der Niedersächsischen Landeskrankenhäuser gegeben. Diese resultierten aus den Ängsten der in den Kliniken tätigen Mitarbeiter.

  • Muss bei dieser Art Privatisierung mit einer Reduzierung des Personals gerechnet werden?
  • Werden dadurch in der Folge die Ausgangszeiten der Patienten noch weiter beschränkt?
  • Wird es noch weniger Gespräche mit Therapeuten und Pflegepersonal geben?
  • Werden Fachkräfte durch weniger qualifiziertes Personal ersetzt?
  • Werden Zwangsmaßnahmen und Medikationen aufgrund der Überlastung des Personals zunehmen?
  • Werden Patientenrechte und die menschliche Würde dann überhaupt noch genügend berücksichtigt?
  • Werden zusätzliche therapeutische Angebote wie z.B. Sporttherapie, Musiktherapie, Entspannungsübungen und Ergotherapie gestrichen?
  • Muss mit Komfortabbau, billigeren Nahrungsmitteln und Einschränkungen der Möglichkeiten zum Wäschewaschen und Telefonieren gerechnet werden?
  • Kommt es zu einer Wiedereinrichtung von Schlafsälen und Gruppenduschen?
  • Wird die Behandlungsqualität insgesamt sinken?
  • Werden die Kliniken in Zukunft reine Verwahranstalten sein?
  • Wird sich die Verweildauer der Patienten unverhältnismäßig verlängern, damit der Klinikbetreiber höhere Gewinne erzielen kann?

Hier wird deutlich, dass bei der Privatisierung der Niedersächsischen Landeskrankenhäuser nicht ausschließlich finanzielle Aspekte eine Rolle spielen dürfen, so wichtig sie auch sein mögen.

Wir fordern: Kein Verkauf zu und um jeden Preis! Unser vorrangiges Interesse gilt der Behandlung der Patienten im Klinikalltag und den Auswirkungen auf diese bei einer möglichen Privatisierung. In den Krankenhäusern sollte es selbstverständlich zum Alltag gehören, dass Behandler den Patienten helfen wollen und dass ein Klima einer vertrauensvollen Beziehung herrscht. Man muss auf alle Fälle die Patienteninteressen berücksichtigen.

Wichtig ist, dass auf die individuellen Probleme der Patienten angemessen eingegangen wird. Dies kann auch zur Verbesserung der Behandlungsqualität beitragen, d. h. beide Seiten , sowohl Behandler als auch Patienten profitieren, wenn mehr auf die Bedürfnisse der Patienten eingegangen wird.

Eine Behandlung im Sinne der Patienten trägt in entscheidendem Maße zu deren Stabilisierung und zur Gesundung bei und wirkt sich vorteilhaft auf das Stationsklima aus. Zufriedene Patienten mit einem guten Therapieerfolg werden, falls nötig, diese Klinik wieder aufsuchen.

Somit ist es gut vorstellbar, dass sich langfristig solche Kliniken auch finanziell behaupten können. Der Patient ist in dem „Unternehmen NLKH“ der Kunde und ohne Kunde kann kein Unternehmen auf Dauer überleben. Die Wahlmöglichkeit der Klinik wird durch Zwangseinweisungen stark eingeschränkt. Daher greift die Kundenorientierung nicht in jedem Fall und somit muss die Qualität der Kliniken hohen Standards entsprechen.

Zur Erfüllung dieser Aufgaben müsste eine unabhängige und externe Kontrollinstanz eingerichtet werden. Ebenso ist zu erwähnen, dass mit der Privatisierung eine tief greifende Veränderung vollzogen wird, bei der die Patienten eine wichtige Rolle spielen und die wollen sie auch spielen.

Wir, die Betroffenen, würden gerne einen entscheidenden Einfluss auch auf die Politik nehmen. Leider ist uns seinerzeit eine Mitarbeit in der Projektgruppe verweigert worden. Wir bedauern es sehr, dass wir nur an einer Anhörung der Projektgruppe teilnehmen konnten. Im Bereich Forensik wird eine Privatisierung besonders problematisch, da der Maßregelvollzug eine hoheitliche Aufgabe ist, die wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht in private Hand überführt werden darf. Gleiches gilt aus unserer Sicht auch für geschlossene psychiatrische Stationen, in denen Patienten nach PsychKG oder Betreuungsrecht zwangsuntergebracht und -behandelt werden.

Ferner muss man Überlegungen in die Richtung anstellen, dass private Investoren nicht „Handlanger der Pharmaindustrie“ sein dürfen. In diesem Zusammenhang wird von den Patienten befürchtet, dass eine Abhängigkeit zwischen der zu privatisierenden Klinik und den Pharmakonzernen aufgebaut wird. Ärzte sollten sich nicht wirtschaftlichen Interessen unterwerfen,sondern sich ausschließlich ihrem Eid verpflichtet fühlen. Abhilfe könnte unserer Meinung nach eine Selbstverpflichtungserklärung schaffen.

Selbsthilfegruppen legen in solch einer Erklärung dar, dass sie unabhängig von Pharmafirmen arbeiten, um somit Fördergelder bei den Krankenkassen beantragen zu können. Dieses Verfahren könnte Vorbildcharakter für Psychiatrien und niedergelassene Psychiater haben. Wir wünschen uns, wenn diese Bereitschaft in den Verkaufsverhandlungen mit einfließen würde.

Zusätzlich sollten vom Land Niedersachsen Maßnahmen ergriffen werden, die die Therapiefreiheit der Kliniken weiterhin gewährleisten. Dieses sollte selbstverständlich sein und durch ein externes Kontrollgremium in regelmäßigen Abständen überprüft werden. In Fällen von Behandlungsfehlern, unzulässiger Unterbringung und Zwangsbehandlung, denen sich der Patient nicht entziehen kann, stellt sich die Frage, wer bzw. welche Institution dafür haftbar gemacht werden kann. Bisher ist die Haftungsfrage bei staatlichen Kliniken so geregelt,dass entweder der behandelnde Arzt oder der Staat (also bislang das Land Niedersachsen) für Behandlungsfehler haften muss und wird. Wir sehen einer Privatisierung mit Sorge entgegen, da wir Bedenken haben, ob die Haftungsfrage bei privaten Kliniken ebenso klar geregelt ist wie bei staatlichen Kliniken. Es ist mit einer Entwicklung zu Ungunsten der Patienten zu rechnen, da sich bei einer Privatisierung ein Übergang vom Staatshaftungsrecht zum Privathaftungsrecht vollzieht.

Dies hätte zur Folge, dass die Beweislast vom Staat auf den Betroffenen bzw. Geschädigten (den Patienten) übergeht. Das Ergebnis wäre eine wesentlich schwierigere Durchsetzung der Rechte des Patienten bei Behandlungsfehlern. Um diese Rechte auch geltend zu machen, werden Psychiatrie-Patienten sehr hohe Hürden auferlegt.

Regelmäßig wird ihnen fehlende Einsichtsfähigkeit unterstellt. Dieses stellt eine Benachteiligung gegenüber somatischen Patienten dar. Es ist somit erforderlich, dass auch in dieser Richtung eine Gleichberechtigung und -behandlung erfolgt.

Nachfolgend einige Forderungen für eine Psychiatrie, die sich an den Grundbedürfnissen der Patienten orientiert:
Wir weisen darauf hin, dass auch Patienten dieser Entwicklung mit einer nicht zu unterschätzenden Verunsicherung und Befürchtungen entgegensehen. Laut Abschlussbericht der Projektgruppe sollten Mitarbeiter- und Patienteninteressen berücksichtigt werden. Leider stellen wir in zunehmendem Maße fest, dass doch finanzielle Interessen wieder einmal das ausschlaggebende Kriterium sind. Unserer Meinung nach steht dies in krassem Widerspruch zur Aussage: „Kein Verkauf um und zu jedem Preis“.

Auch bei dem eingeleiteten Bieterverfaheren seit Anfang Mai 2006 werden immer mehr Ungereimtheiten festgestellt und – zum Glück – auch thematisiert. Es wurden Verflechtungen zwischen den AMEOS-Kliniken und der Beraterfirma Price Waterhouse Coopers deutlich. Das heißt, dass das Bieterverfahren auch an Unabhängigkeit mangeln lässt. Was uns zusätzlich äußerst verdächtig und merkwürdig vorkommt, ist die Tatsache, dass einige Vertreter von Bietern (Jörg Hemmersbach, Ameos-Mitarbeiter und Volker Thesing von der Asklepios-Gruppe) schon bei den Informationsveranstaltungen im August und September 2005 die einzelnen Landeskrankenhäuser bereisten, um den Mitarbeitern und Patienten die Privatisierung schmackhaft zu machen.

Einige kommunale Interessenten (z. B. Psychiatrieverbund Oldenburger Land – Interessent für das LKH Wehnen, FIPS-Kliniken Peine – Interessent für das LKH Königslutter) sind nicht mehr am weiteren Verlauf des Bieterverfahrens beteiligt. Wir verweisen auch auf die Landtagssitzung vom Freitag, 15.09.2006. Die Anträge der SPD- und der B 90/Grünen-Fraktion, einen sofortigen Stopp des Bieterverfahrens anzustrengen, sind abgelehnt und zunächst in die entsprechenden Ausschüsse überwiesen worden. Unsere eindringliche Forderung lautet daher: Kommunalen Anbietern ist unbedingt Vorrang zu gewähren gegenüber Klinik-Großkonzernen.

Bei den Verhandlungen zum NLKH-Verkauf ist es dringend erforderlich, wenn niedersachsenweit Betroffenenverbände (z. B. LPEN e.V. ) den Prozess entscheidend mitbestimmen. Leider hat die Sozialministerin das Bieterverfahren als völlig ordnungsgemäß und fair bezeichnet, in dem alle Interessenten die gleichen Chancen bekommen. Das können wir in keiner Weise bestätigen, wenn bereits Interessenten vorzeitig „aus dem Rennen“ sind und keinen Zugang zum Datenraum haben, d. h. Zugang zu klinikrelevanten Daten haben bzw. haben sollen.

Eine Maxime für das Bieterverfahren zum NLKH-Verkauf ist die Transparenz. Leider müssen wir als Betroffene genau diese bemängeln. Durch Vorenthalten von Informationen zum Bieterverfahren nährt sich der Verdacht, dass auch hier wieder „über die Köpfe der eigentlich Betroffenen – nämlich uns Patienten – hinweg" entschieden wird. Informationen sind uns nur über – zunächst unbekannte – Dritte – zugeleitet worden. Wir hätten es doch sehr begrüßt, wenn z.B. Mitglieder aus der Projektgruppe uns umfassender informiert und mit einbezogen hätten.

Ebenso müssen wir auch beanstanden, dass die Sozialministerin uns in dieser Hinsicht auch wenig kooperativ erschien. Warum sollen bereits bestehende und gut funktionierende psychosoziale Netzwerke auf kommunaler und regionaler Ebene zerschlagen werden durch Anbieter, die ausschließlich finanzielle Interessen verfolgen und am Wohl der Mitarbeiter – und vor allem auch der Patienten – kein Interesse haben? Folgerichtig wäre es, dem Antrag der SPD- und B 90/Grünen-Fraktion zuzustimmen und das Bieterverfahren zumindest so lange auszusetzen, bis: Ungereimtheiten des Verfahrens wegen Verflechtungen PWC und AMEOS geklärt sind. Eine unabhängige Beraterfirma den Prozess des Bieterverfahrens begleitet. Jedem Interessenten der Zugang zum Datenraum der Kliniken ermöglicht worden ist. Eine umfassende Mitwirkung von Betroffenengruppen niedersachsenweit erfolgt ist.

Es darf unter keinen Umständen mit den Interessen, Forderungen – und auch – Befürchtungen der Patienten „gespielt“ werden, weil für den einen oder anderen Anbieter „das große Geld“ lockt. Leider scheint Geld höher bewertet zu werden als berechtigte Interessen von uns Patienten.